Samstag, 28. Oktober 2017

Ein Wochenende in Mysore

Mein letzter Bericht ist nun schon eine Weile her. Eigentlich wollte ich ja an jedem Wochenende einen schreiben. Doch vor drei Wochen hatte ich spontan die Möglichkeit nach Mysore zu fahren. Deshalb habe ich das Schreiben aufgeschoben. Dafür hatte ich jedoch ein fantastisches Wochenende - und ihr könnt nun lesen, wie es mir dort ergangen ist. Ich bin zum ersten Mal in Indien Bus gefahren, habe eine Kirche und einen Tempel gesehen und noch vieles mehr.


Wie kam es dazu?
Anfang Oktober gab es zwei Feiertage, die ich größtenteils sehr faul mit meinem Tolino und Netflix verbracht habe. Ursprünglich wollte ich die freie Zeit zum Reisen nutzen, aber ich hatte zu spät davon erfahren. Und ehrlich gesagt: die freie Zeit zu Hause tat mir nach all der Aufregung und den vielen neuen Eindrücken echt gut. Am ersten Arbeitstag danach fand eine interne Fortbildung statt. Und mitten drin kam Sophia an. Sophia ist die zweite Praktikantin in der Sprachabteilung und zum Glück haben wir uns gleich so gut verstanden, dass sie mich am Wochenende spontan mit nach Mysore genommen hat. Sie hat dort Freunde, weil sie nach der Schule bereits einmal in Indien war.

Der Hinweg
Ich gebe ja zu, dass ich ein klein wenig schwerfällig bin, wenn es darum geht, alleine eine Reise zu organisieren und beispielsweise Busse und Züge auszuprobieren. Deshalb fand ich es sehr praktisch, dass Sophia die Strecke bereits einmal gefahren ist. Sie kannte demnach die Adresse des Busbahnhof, wo wir mit Uber hingefahren sind. Die halbe Stunde Taxi fahren, war fast genauso teuer wie die vierstündige Busfahrt danach. Beschweren will ich mich aber nicht, denn der Bus hat nur 270 Rupien (nicht einmal 4 Euro) gekostet. Die Fahrt war übrigens sehr angenehm: Der Bus hatte eine Klima-Anlage, es gab gratis Wasser und sogar eine Zeitung.

Start in Mysore
Ich hatte bei unserer Ankunft kaum eine Vorstellung von Mysore. Ich wusste nur, dass ich da unbedingt hin will, weil die Stadt (aus indischer Sicht) um die Ecke liegt und es dort sehr schön sein soll. Als erstes haben wir etwas gegessen und dann sind wir mit einer Rikscha zum Palast gefahren. Die Rikschas sind dort übrigens schwarz-gelb und nicht wie in Bangalore grün-gelb. Keine Ahnung, ob das irgendjemanden interessiert, aber aus irgendeinem Grund ist mir das aufgefallen. Zu dem Zeitpunkt sind mir auch die zahlreichen Kühe aufgefallen. Mittlerweile habe ich aber noch ein paar andere Ecken von Bangalore gesehen und muss sagen, dass es nur in meiner Gegend nicht so viele Kühe gibt, woanders aber schon. Pferde sehe ich hier in Bangalore dagegen nie. In Mysore gibt es einige. Und natürlich gibt es auch dort kleine Müllhalden am Straßenrand. Ich hätte sie gar nicht erwähnt, wenn
mir nicht mehrere Personen von dem Preis erzählt hätten, den Mysore als sauberste Stadt Indiens erhalten hat. Das ist irgendwie ziemlich traurig. Andererseits ist es sowohl dort als auch in Bangalore deutlich sauberer als ich nach all den Warnungen und Klischees befürchtet hatte. Es gibt auch regelmäßig eine Müllabfuhr. Die Menschen sind hier nur einfach deutlich entspannter, was die Nutzung der öffentlichen Straßen angeht. Soll ein Haus gebaut werden, wir halt die halbe Straße als Ablagefläche für Baumaterial genutzt ...

Der Palast
Wer in Mysore ist, muss den Palast sehen. Das haben auch wir als erstes gemacht. Für 50 Rupien (ungefähr 70 Cent) durften wir sogar reingehen. Witzigerweise musste ich immer wieder an Schloss Schönbrunn in Wien denken. Vermutlich liegt es daran, dass das das größte und gepflegteste Schloss ist, das ich in Europa kenne. Und obwohl alles völlig anders ist, gibt es auch so viele Ähnlichkeiten. Ja ich weiß, das klingt bescheuert. Aber irgendwer weiß bestimmt, was ich meine. Es gibt einen riesigen gepflegten Park vor dem Palast in Mysore und im Palast haben wir eine Art Ballsaal gesehen. Es gab Gemälde der Königsfamilien und sogar eine Art Spiegelsaal. Natürlich waren die Formen und die Details anders. Und die Männer auf den Gemälden tragen Turbane und keine Helme. (Wobei mir die altmodischen Helme in Europa genauso fremd sind wie die indischen Turbane.) Bei den Frauen auf den Gemälden ist mir auch etwas aufgefallen: Sie tragen alle einen Nasenring. Im Büro hat mir eine Lehrerin erklärt, dass es in vielen Familien Tradition ist, dass die Frau bei ihrer Hochzeit einen sehr großen Nasenring trägt. Andere Frauen tragen ständig einen, einfach nur weil es hübsch aussieht. Auf jeden Fall sehe ich hier auch bei zahlreichen älteren Frauen Nasenringe. Das finde ich persönlich ganz witzig, weil in Deutschland ja eher die jungen, "rebellischen" Mädchen sich einen Nasenring stechen lassen.

Die indische Version von katholischen Kirchen

Nach dem Palast wollten wir in den Zoo gehen, der uns von Sophias Freunden empfohlen wurde. Der Rikscha-Fahrer wollte dafür 50 Rupien haben, was eigentlich zu teuer ist. (Ihr denkt jetzt vielleicht, dass wir ganz schön geizig sind, aber man gewöhnt sich doch recht schnell daran, nicht mehr umzurechnen, sondern zu schauen, wie viel das Geld hier wert ist.) Der Rikscha-Fahrer hatte aber natürlich eine Lösung für das Problem. Für nur 80 Rupien wollte er uns zu den wichtigsten Sehenswürdigkeiten fahren und auf uns warten. Ich war unsicher, ob da nicht noch irgendwo der große Haken kommt, aber Sophia meinte, dass das normal ist. Also haben wir zugesagt. Und so sind wir dann in der St. Philomena's Church gelandet. (Vorher habe ich noch ein paar Herzstillstände im Straßenverkehr ausgestanden. Daran werde ich mich definitiv nicht gewöhnen.) Ich bin froh, dass wir in der Kirche waren. Denn das ist etwas, was ich auch Deutschland kenne und hier doch ganz anders ist. Ehrlich gesagt, mag ich die indische Variante einer katholischen Kirche lieber. Denn ebenso wie alles andere, ist auch die Kirche farbenfroher und dadurch irgendwie echter und lebendiger in meinen Augen. Okay, dass auf dem Holz-Jesus am Kreuz knallrote Blutstropfen aufgemalt sind, kommt mir dann doch etwas befremdlich vor. Aber ansonsten mag ich die Kirche.

Unsere Privatführung
Bei der Kirche ist einfach ein anderer Inder zu unserem Fahrer gestiegen. Und ohne, dass wir gefragt wurden, hat uns der Neuankömmling durch die Stadt geführt. Unser erster Halt war ein Markt: Eine Oase der Stille mitten in der hektischen Stadt. Dort habe ich auch meinen ersten leckeren Tee in Indien getrunken, der noch dazu gratis war. Wir haben auch eine Art Altar oder Gebetshaus gesehen, in dem es Bilder verschiedener Religionen gibt. Laut unserem selbsternannten Stadtführer leben in Mysore alle Religionen friedlich zusammen. Und es gibt tatsächlich nahe der Kirche eine Moschee und natürlich Hindu-Tempel. Ich mag die Vorstellung und finde es auch in Bangalore faszinierend, die vielen Religionen zu sehen. Aber ich weiß natürlich auch, dass dieser erste Eindruck nicht überbewertet werden sollte. Ich denke, die blutige Geschichte der indischen Unabhängigkeit und der Trennung von Pakistan ist den meisten ein Begriff. Und man bekommt in Gesprächen doch recht schnell mit, dass natürlich auch hier tausend verschiedene Formen von Diskriminierung bestehen. Sei es nun im Kastenwesen, zwischen die Weltreligionen oder innerhalb der Religionen. Aber trotz allem scheint es ja eben auch an einigen Stellen, wie auf diesem Markt zu funktionieren. Und das ist wohl das, woran man sich festhalten sollte.

Zurück zur Führung: Wir sollten nämlich (laut unserem Führer) in den Genuss des "wahren Indiens"
kommen. Das hat er immer wieder betont. Wir haben eine Frau gesehen, die Räucherkerzen macht, und einen Mann, der Tabak dreht. Wir durften auch beobachten wir Holz zu Bildern und Tischen verarbeitet wird. Das war alles sehr interessant. Aber, dass das nicht so viel mit dem "wahren Indien" zu tun hat, ist auch klar. Natürlich werden diese Dinge hier hergestellt, aber in der Regel mit Sicherheit nicht von netten, älteren Frauen, die ganz entspannt ein paar Räucherstäbchen drehen. Die wahren Arbeitsbedingungen möchte ich mir lieber gar nicht so genau vorstellen. Außerdem muss ich immer an das Buch "Kleine Hände, großer Profit denken". Nicht falsch verstehen, den Leuten in Mysore will ich nichts unterstellen und ich habe auch nichts dergleichen selbst gesehen, aber das Wissen ist und bleibt eben doch im Hinterkopf.

Zu Sophias Freunden
Geendet hat unsere tour in einem "Silber-Museum" - also im kitschigsten Touri-Shop, den ihr euch vorstellen könnt. Von dort aus haben wir uns zu Sophias Freunden fahren lassen. Nach kurzem Handeln hat die ganze Tour 300 Rupien (also 2 Euro für jeden von uns gekostet). Wir haben noch kurz überlegt, ob wir übers Ohr gehauen werden, aber ganz ehrlich: Wir waren mehrere Stunden unterwegs und die Tour war wirklich toll und interessant. Wir haben nicht mal etwas gekauft. Da kann man sich bei 2 Euro pro Person nicht beschweren.

Der Abend wurde auch noch sehr schön. Ich habe mir zugegebenermaßen etwas zum Deppen gemacht, weil ich zu blöd war mit den Händen zu essen. Aber so habe ich einen Ansporn das zu lernen. Ansonsten war es aber echt schön: Ich kannte Sophias Freunde ja noch nicht und sie mich auch nicht, trotzdem habe ich mich sehr willkommen gefühlt. Und auch die Gespräche waren sehr interessant. Irgendwie sind wir auch bei der "Ehe für alle" gelandet. (Das war das Wochenende, an dem in Deutschland die ersten gleichgeschlechtlichen Paare heiraten durften.) Und es kam die Frage auf, was in Deutschland noch für Probleme geben könnte. Ich habe dann versucht zu erklären, dass eventuell noch eine Klage beim BVerfG aussteht. Habt ihr schon mal versucht auf Englisch den Unterschied von BGH und BVerfG zu erklären. Für mich war das sowieso der erste Abend, an dem ich mal wieder richtig lange über verschiedenste Themen auf Englisch gesprochen habe. Und dann so was ... Ich glaube, mein Professor wäre enttäuscht von mir. (Wenn er sich denn bei der Masse von Studenten an mich erinnern könnte ...) Und dann wollte ich auch verstehen, wie denn die aktuelle Gesetzeslage in Indien ist. Halleluja, das war ein Abend ...

"Klettern in Mysore"
Normalerweise ist es bei mir so: Umso länger ich mit dem Bericht warte, um so kürzer wird er. Aber jetzt ist das Wochenende schon zwei Wochen her (bei der Korrektur sogar drei) und allein der Text über den Samstag ist schon so lang. So viele Gedanken und Erlebnisse. Ich versuche mal, mich etwas kürzer zu fassen, aber es fällt wirklich schwer.

Am nächsten Tag wollten wir mit drei Freunden von Sophia auf den "Chamundi Hill" klettern. Letzten Endes hat uns aber ein Bus nach oben gebracht. Da war was los, wie auf dem Freimarkt. Die Touristen waren auch überall: Allerdings kaum Europäer sondern fast nur Inder. Trotzdem wurde der ganze übliche Touri-Kram verkauft. Manche Verkäufer wird man kaum noch los, sobald sie einen entdeckt haben.
Ich hatte ein bisschen Angst, das Sophias Freunde von mir genervt sein könnte, weil ich meine Kamera mitgenommen habe. Die Sorge war unbegründet: Einer ihrer Freunde hat fast dasselbe Modell und war deutlich mehr am fotografieren als ich.

Oben auf dem Berg gab es einen Tempel, in den wir aufgrund der langen Schlangen nicht reingegangen sind, ganz viele Affen, Kühe, Kälbchen und Hunde und eine schöne Aussicht.  Außerdem haben wir die Statue eines riesigen Bullen gesehen. Runter sind wir zu Fuß gegangen. Der Weg war ziemlich lang, hat sich aber wegen der Landschaft und er Aussicht gelohnt. An den Treppenstufen klebten viele bunte Punkte. Uns sind immer wieder Frauen entgegengekommen, die die Punkte gemalt haben. Ich muss zu geben, dass ich darauf keine Lust hätte. Das sah ziemlich anstrengend aus.

Museum und Heimfahrt
Vor unserer Heimfahrt waren wir in einem Museum, das vor allem Gemälde und ein paar Instrumente und Spiele ausstellt. Ich finde es gemein, dass egal, wo man auf der Welt in ein solches Museum geht, erstmal nur dutzende Bilder von irgendwelchen einflussreichen Männern zu sehen sind und dass die Frauen höchsten Schmuck darstellen. das ist hier genauso wie auf alten Gemälden in Europa. (Das wollte meine feministische Seite einmal kurz loswerden.)
Weiter oben gab es dann aber natürlich auch Bilder von Frauen. Und eines davon hat mich ziemlich beeindruckt. Es hieß, glaube ich, "Tibetisches Mädchen" oder so ähnlich. und während viele Frauen auf den anderen Bildern Götinnen, Prinzesseninnen oder irgendwelche oben ohne dargestellten Frauen waren, war dieses Mädchen ganz normal: Sie war eindeutig nicht reich und schaut den Maler sehr stolz und abwartend mit verschränkten an. Im Hintergrund sind einfache Häuser und eine Wäscheleine. Ihr Blick hat mich ziemlich beeindruckt. Ich würde zu gern wissen, wie dieses Bild entstanden ist.

Rückfahrt
Das Museum war unsere vorletzte Etappe. Danach gab es nur noch ein gemeinsames Mittagesssen. Auch wenn meine Gastgeber das hier vermutlich nicht lesen werden, möchte ich mich bei ihnen bedanken. Das Wochnende war großartig und einzigartig. Und ich hoffe, ich sehe euch noch einmal wieder!

Ich weiß, dass diesmal einige ernste Themen mit in den Bericht gewandert sind. Das soll auf keinen Fall das Wochenende abwerten. Das war wirklich fantastisch. Ich bin nur in letzter Zeit allgemein viel ins grübeln gekommen. Durch Literatur, Gespräche mit Indern und auch durch das Vorbereitungscamp von Kulturweit. Mir schwirrt auch immer wieder die Aussage des Stadtführers im Kopf herum, dass er uns "das echte Indien" zeigen will. Aber das werde ich wohl niemals zu sehen bekommen - immer nur kleine Ausschnitte. Aber wie gut kenne ich das "echte Deutschland". Auch da kann ich ja immer nur einen Ausschnitt erleben. Ich möchte hier mehr kennenlernen, als nur Sehenwürdigkeiten. und ich will authentisch berichten. Die Frage ist nur, inwieweit das wirklich möglich ist ...

Bevor das noch weiter zu sehr ausatet, mache ich hier mal einen Punkt. Wenn dieser Bericht online ist, hänge ich noch immer eine Woche zurück. ("Dank" Dengue Fieber jetzt sogar noch eine Woche mehr ...) Ich werde mich also mit dem Bericht von letzter Woche etwas beeilen müssen. Darin wird es darum gehen, wie ich immer wieder denke, dass ich jetzt (endlich?) so etwas wie Alltag habe, aber dann kommen doch wieder neue Dinge dazu: Nachhilfe für Inder, die deutsch lernen; meine erste Kannada Stunde; der Besuch bei einer Kollegin und ihrer Familie ...

------------------------------------------------------------------------------------------------------------------Hinweis: Alle Themen und Erlebnisse, die ich auf diesem Blog anspreche, spiegeln meine ganz persönlichen Erfahrungen wieder. Ich nehme die Dinge aufgrund meines individuellen Hintergrunds möglicherweise anders wahr als andere Menschen. Ich denke, das gilt für alle Reisenden. Mir ist wichtig, dass niemand die Berichte hier als objektive Wahrheit annimmt und danach sagt: "So ist Indien!" Dafür ist Indien zu groß und die Menschen sind zu einzigartig.

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